"Wehren Sie sich. Noch ist es nicht zu spät." Das neue Buch der beiden preisgekrönten SchriftstellerInnen Ilija Trojanow und Juli Zeh ist ein dramatischer Apell.
"Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren." Mit diesem Zitat von Benjamin Franklin, Gründervater der USA, beginnen Ilija Trojanow und Juli Zeh ihr Buch. Zentrales Anliegen der beiden ist es, Begriffe wie "Sicherheit" oder "Terrorismus" zu hinterfragen, mit denen uns Onlinedurchsuchung, Überwachungskameras oder Fingerabdrücken im Reisepass schmackhaft gemacht werden sollen. "Angriff auf die Freiheit" ist ein 140 Seiten langes Plädoyer: Die seit einigen Jahren rasant zunehmende Beschränkung jahrhundertelang erarbeiteter bürgerlicher Rechte, so Trojanow und Zeh, dürfen nicht mehr länger hingenommen werden:
Der Begriff der "terroristischen Bedrohung" geht uns inzwischen völlig selbstverständlich über die Lippen. Wer ihn öffentlich hinterfragen will, gerät in Gefahr für völlig naiv gehalten zu werden oder gar selbst als verdächtig zu gelten. Nehmen wir die "terroristische Bedrohung" einmal unter die Lupe. Unter einer Drohung verstehen Juristen das In-Aussicht-Stellen eines künftigen Übels. Das Übel, welches der Terrorismus direkt in Aussicht stellt, sind die Opfer möglicher Anschläge. So grauenhaft diese Folgen im Einzelfall für die betroffenen Personen sind – vergleicht man die Opferzahlen statistisch mit den Verkehrstoten, den an Hitzschlag oder an Grippe Verstorbenen sowie den Opfern einer falschen medikamentösen Behandlung im Krankenhaus, kommt man nicht auf die Idee, dass Terrorismus die größte Bedrohung unserer Sicherheit sei. Der besondere Schrecken des Terrorismus besteht darin, dass er sich im weitesten Sinn politisch motivierter Gewalt bedient. Das heißt: Einem terroristischem Verbrechen wohnt Bedeutung inne. Der Anschlag auf das World Trade Center war nicht nur ein Massenmord an rund 3000 Menschen, sondern eine Metapher auf den gewünschten Untergang der USA oder gleich der gesamten "westlichen Welt". An diesem Punkt nistet ein fatales Missverständnis. Die Botschaft solcher Anschläge lautet nicht: "Wir werden euch zerstören." Sie lautet: "Wir fordern euch zur Selbstzerstörung auf." Warum das so ist? Weil uns der Terrorismus allein keinen nachhaltigen Schaden zufügen kann. Kein Land der Welt ist jemals durch Attentate wie jene des "islamistischen Terrors" ins Verderben gestürzt worden; keine Regierung wurde auf diese Weise abgesetzt. Terroristen besitzen nicht die Macht unseren Rechtsstaat zu zerschlagen, unsere Werte abzuschaffen und unsere Gesellschafts- und Lebensformen zu ändern. Sie können uns nur dazu provozieren es selbst zu tun. Sie benötigen unsere Mitwirkung. Sie bedrohen uns mit Folgen, die wir nur selbst herbeiführen können.
Die AutorInnen zeichnen den langen Weg der Gesellschaft zu den Menschenrechten auf: Sie schreiben über die Magna Carta, die Französische Revolution, das Deutsche Grundgesetz oder die allgemeine Erklärung der Menschenrechte – und stellen diese aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Staaten gegenüber. Zum Beispiel, wenn es um den Schutz vor willkürlicher Verhaftung geht: Was in England 1215 erstmals in der Magna Carta formuliert wurde und auch Teil der US-amerikanischen "Bill of Rights" ist, gilt nach der Einführung des Begriffes "Feindlicher Kombattant" durch George W. Bush nicht mehr für jeden Menschen in den USA. "Feindliche Kombattanten" können beliebig verhaftet und für unbestimmte festgehalten werden – der "Krieg gegen den Terror" macht es möglich. Interessant ist für Trojaniow und Zeh auch die Sinneswandlung des Begriffs Terror selbst, der vor wenigen Jahrzehnten noch überwiegend für den Terror totalitärer Systeme gegen ihre Bürger angewendet wurde. Ebenso kritisch betrachten die AutorInnen die Kombination der beiden Wörter "Terror" und "Verdächtiger":
Wenn inflationär von "Terrorverdächtigen" gesprochen wird, zeigt schon die Sprache an, wohin die Reise geht. Eigentlich sind Verdächtige nach unserer Rechtsauffassung immer auch Unschuldige. Aber die erste Hälfte des Begriffs ("Terror") weist schon in Richtung Gewahrsam, Sondergericht und Folter. Da die NATO-Staaten einen "Krieg gegen den Terror" führen, der als Kampf gegen einen amorphen Gegner endlos sein muß, ist ein 'Terrorverdächtiger' bereits ein Krimineller, der unser Leben und unsere Welt bedroht. Das Wort, so aggressiv wie seine Suggestion, setzt die Menschenrechte in Klammern. Als hätten achthundert Jahre Grundrechtsgeschichte ihre Bedeutung verloren.
Während in den Schulen immer noch die Ideen von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit gelehrt würden, fände draußen bereits der große Umbau statt. Wer aufstehe und sage: "Es reicht! Ihr schlagt etwas kaputt, das sich nicht mehr reparieren läßt!", gelte als naiv, hysterisch oder gar als Terroristenfreund.
In den ersten Jahren nach dem 11. September 2001 waren die Zeitungen voll mit Warnungen vor dem Terrorismus, doch gab es kaum eine nennenswerte öffentliche Debatte über die Erweiterung der staatlichen Machtbefugnisse. Noch in den Achtzigern hatte eine geplante Volkszählung in Deutschland Massenproteste ausgelöst, weil viele Menschen eine Aktualisierung der Meldedaten als unerträglichen Eingriff in ihre persönliche Freiheit empfanden. Zwei Jahrzehnte später protestierte so gut wie niemand dagegen, daß jeder Bürger dem Staat seine Fingerabdrücke überlassen soll, obwohl es dabei offensichtlich nicht um die Fälschungsscherheit von Pässen, sondern um die Errichtung einer europaweiten Datenbank geht.
Immer wieder weisen Zeh und Trojanow darauf hin: Grundrechte sind ein Abwehrschirm gegen staatliche Eingriffe. Grundrechte sind Ordnungsprinzipien, die eine Gesellschaft so organisieren, dass sie sich in demokratischen Verfahren durch ihre Repräsentanten selbst regieren kann.
Es ist ein Irrtum, wenn der Einzelne glaubt, mit den Entscheidungen in Brüssel, Washington, London oder Berlin habe er nichts zu tun, solange immer nur von "Terroristen" die Rede ist. Wer sich nur dann an seine Grundrechte erinnert, wenn er sich persönlich geschädigt fühlt, hat entweder nicht verstanden, worum es geht, oder zeigt sich schlicht verantwortungslos.
An anderer Stelle mahnen die Autorinnen, dass "es kein per se 'gutes' System geben kann, dessen 'guten' Zielen man in Krisenzeiten bedenkenlos hart erkämpfte Rechte opfern darf." Und weiter: "Glauben Sie, diese Rechte nur unter der Bedingung abzugeben, daß der Staat 'gut' bleibt? Ein Staat wird gewiss nicht besser durch die Erweiterung seiner Befugnisse, im Gegenteil – je mehr Macht er konzentriert, desto größer wird die Gefahr von Mißbrauch. Und man wird Ihnen Ihre Rechte ganz bestimmt nicht an dem Tag zurückgeben, an dem Sie diese zurückfordern."
Schonungslos werden SpitzenpolitikerInnen zitiert, um deren Unwissenheit oder rhetorische Paradoxien aufzudecken – etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Eigentlich läuft alles ganz prima, aber trotzdem brauchen wir mehr Überwachung". Oder Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Bundestag: "Online-Durchsuchung, das geht nicht mit Messer und Gabel und auch nicht mit dem Fernglas. Dafür brauchen wir den Einsatz modernster IT-Technik, und da kann eine Mail dafür ein Beispiel sein."
Oder Wolfgang Schäubles legendäre Äußerungen zum gleichen Thema: "Unter Online-Durchsuchung wird Verschiedenes verstanden, das ist klar. Da wird... da wird sowohl verstanden ... der Telekommunikation...der...der Verkehr, als auch die Durchsuchung in den Systemen selbst, weil die technische Entwicklung eben so ist, aber da müssen wir jetzt schon fast die ...die... die Internetexperten genauer befragen."
Obwohl Politiker auf diese Weise ständig zeigen, dass sie von den Instrumenten, die sie fordern eigentlich keine Ahnung haben, gibt es in der Bevölkerung kaum Widerstand gegen ihre Pläne. Terroristen, so wird uns immer wieder vesichert, arbeiten verdeckt, verschlüsselt, anonymisiert und konspirativ. "Das Internet" wird zu einem Reich des Bösen stilisiert, zu einem "rechtsfreien Raum", den es generell zu bekämpfen gelte. "Das Internet ist das Tatmittel der Zukunft", sagt Jürgen Ziercke, Präsident des deutschen Bundeskriminalamts. Deshalb müsse man es streng überwachen. Was, so die Autorinnen Zeh und Trojanow, etwa so viel Sinn ergäbe, als würde man die Gefährlichkeit des Waldes beschwören, weil man aus Holz Speere zimmern kann.
Wir sind dabei, unsere persönliche Freiheit gegen ein fadenscheiniges Versprechen von "Sicherheit" einzutauschen. Die gegenwärtige Gleichgültigkeit im Umgang mit der Privatsphäre läßt ahnen, wie Staat und Konzerne in Zukunft über uns verfügen werden, sollten wie ihnen erlauben, noch umfassendere Instrumente der Kontrolle einzuführen. Dann wird es allerdings zu spät sein zum Widerstand. Ein autoritärer Staat kann jeden Protest im Keim ersticken, mit Hilfe von Gesetzen, die heute verabschiedet werden, um uns angeblich zu schützen. Wehren sie sich. Noch ist es nicht zu spät.